Italiener und das etwas andere Einkaufsverhalten
Als ich jüngst meinen Vater besuchte, musste ich laut lachen, als ich sein neues, gerahmtes Foto auf dem Schreibtisch erblickte.
Nicht etwa die schön inszenierte Aufnahme meiner Schwester und mir, die wir ihm
geschenkt hatten, lächelt meinen Vater tagtäglich an, sondern ein gegrilltes und mit Zitronensud verfeinertes Thunfischsteak an bunten Blattsalaten und Olivenöl-
Ciabatta vom letzten Sardinienurlaub.
Ich glaube, eindeutiger kann eine Liebesbeziehung zum Essen nicht
ausgedrückt werden.
Da die Nahrungsaufnahme essentiell ist, dürfen nicht irgendwelche Speisen auf dem Tisch landen. Der Italiener an sich ist höchst skeptisch und daher wird beim
Einkaufen natürlich besonders viel Sorgfalt auf die Qualität, aber auch die Auswahl des Fachhändlers gelegt.
So hat nahezu jede Spezialität ihr eigenes Fachgeschäft, so dass man für den Einkauf mindestens einen halben Tag braucht:
La Macelleria (Metzgerei), Polleria (Geflügelfachhandlung), Rosticceria (gegrillte Fleischspezialitäten), Pesceria (Fisch), Ortofrutta (Obst & Gemüse), Antipasteria,
Latteria (Milchfachgeschäft), Salumeria (Aufschnittfachgeschäft),
Panificio (Bäcker für Brotwaren), Focacceria (Bäckerei für die hochgebackene Hefespezialitäten), Pastificio (Pastafachgeschäft), Pasticceria (Konditor),
Biscottificio (Trockengebäckgeschäft) – um nur einige Beispiele zu nennen.
Aber was macht nun ein Italiener, um die besten Waren für die Herstellung des kaum noch lesbaren vererbten Geheimrezepts zu erstehen?
Er geht ausschließlich zu einem Händler seines Vertrauens.
Normalerweise wird man in diese Vertrauensstruktur hineingeboren, die
über Generationen im engsten Umfeld gewachsen ist.
Wandern Italiener nach Deutschland aus, reicht die Händler-Kundenbeziehung,
wenn man aus dem gleichen Dorf stammt.
Wenn man keinen aus seinem Dorf findet, zieht man den Radius etwas
weiter. Ein Treffer findet sich mit viel Wohlwollen immer.
Je südlicher im Stiefel die deckungsgleiche Region ist, desto intensiver und emotionaler wird auch die Händler-Kunden-Beziehung sein. Aber wie findet man so einen Händler des Vertrauens, wenn man ihn nicht in die Wiege gelegt bekommt?
Als erstes muss einem der Händler empfohlen werden.
Von der Nachbarin, einem Freund oder einem Barista des Vertrauens, der einem den morgendlichen Espresso serviert und mit dem man über die Politik, den Sport und das Wetter plaudert. Paradoxerweise muss man aber auch ein Kunde des Vertrauens beim Händler werden. Könnte ja jeder kommen!
Also wird mit dem Händler erst einmal gesprochen, woher man sich kennt, wer ihn empfohlen hat, um ihm danach genau zu erläutern, welch’ Gaumenfreuden man
mit seinen Produkten herstellen möchte. Nur wenn diese würdigend anerkannt werden, hat man Chancen, die besten Waren der Welt zu erhalten. Man kann den Spieß zunächst auch umdrehen und den Händler fragen, was er denn mit diesem Fisch oder
jenem Fleisch zaubern würde. Aber Achtung: Es kann in einen sehr sehr langen Monolog münden, den man auf keinen Fall durch unqualifizierte Fragen stören sollte.
Danach verrät man ihm, wer denn die illustren Gäste sind – eine wichtige Information, die er dann weitergeben kann. Man kann es so zusammenfassen: Informationen
sind das zweitwichtigste Gut, womit ein Händler des Vertrauens handelt.
Während der anregenden Unterhaltung, packt Ihnen Ihr Händler dann eher beiläufig die frischeste und schmackhafteste Ware ein. Für die weiteren Zutaten des Rezepts warten dann drei, vier oder fünf weitere Händler, die auch alle erst zum Händler ihres Vertrauens gemacht werden müssen. Doch am Ende hat sich der Aufwand gelohnt, wenn Sie das Beste der Saison zubereiten und ihre Gäste wohlverdient genießen.
VOn den Märkten und IHren Händlern,
... die einfach nur Lust machen einzukaufen und dann direkt los zu kochen!